Allgemeines zum Römerfeld
Keltische Münzen aus den Begehungsflächen:
sog. Atuatuker-Kleinerz mit vier Pferdeprotomen, sog. Kleinerz des Nörvenich-Typus und ein silbener Quinar mit stilisiertem Pferdekopf
„Schmerzlich war es zu hören, was hier in den letzten Jahrzehnten an Funden aller Art aus der Erde gepflügt und achtlos verschleudert und zerschlagen wurde.“ So urteilte bereits 1905 der Dürener Geschichtsprofessor August Schoop. Tütenweise seien die Münzen von den landwirtschaftlichen Nutzflächen am Gleithang des Neffelbaches getragen worden, wird in der örtlichen Überlieferung erinnert. Seit 1990 ist der Fundplatz als Bodendenkmal DN 104 in die Liste der ortsfesten Bodendenkmäler der Gemeinde Nörvenich eingetragen. Systematisch wissenschaftlich vorgelegt wurden die archäologischen Funde, mit Ausnahme der bis 2005 bekannt gewordenen Münzen, bislang nicht. Die meisten der über viele Jahrzehnte hinweg gesammelten, durch Notbergungen, aber auch durch Raubgrabungen erzielten Funde sind heute in alle Winde zerstreut und nur im kleineren Teil zu einem kleinen Teil im LVR-LandesMuseum Bonn inventarisiert. Vereinzelte Altfunde konnten aber im Ort gesichert werden.
So ergab sich 2008 für den Heimat- und Geschichtsverein der Gemeinde Nörvenich e. V. die ernüchternde Einsicht, dass das sicherlich berühmteste archäologische Denkmal ihrer Gemeinde zugleich das am stärksten ausgeplünderte ist. Gleichzeitig konnten sie beobachten, wie sich schnell nach dem Pflügen, vor allem nächtens, die „Möwen“ immer wieder einfanden, also Menschen aus der näheren und weiteren Umgebung, die mit Metallsuchgerät und Spaten ausgestattet, ihrem illegalen Schatzsucherhobby frönten. Neben dem verständlichen Ärger über den ständigen Verlust von historischen Informationen war es der erkennbare Ausverkauf des archäologischen Fundplatzes, der die Mitglieder der archäologischen Arbeitsgruppe im Geschichtsverein zu einer ungewöhnlichen Maßnahme greifen ließ: In immerhin 19 Begehungskampagnen in den Jahren 2009–2014 wurden die Ackerparzellen in Absprache mit dem Eigentümer, dem Pächter und der Außenstelle Nideggen des LVR - Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland unmittelbar nach dem Pflügen abgegangen und mit dem Metallsuchgerät untersucht. Dies führte nicht nur zu weiteren 923 Fundpositionen mit über 1000 geborgenen und per GPS eingemessenen Funden, sondern auch zu einer oberflächennahen „Entleerung“ des Platzes der als Folge bereits jetzt spürbar unattraktiver für illegale Sucher geworden ist. Über zahlreiche aufgelesene Keramikbruchstücke und neuzeitliche Münzen wird erkennbar, dass die Flächen spätestens ab der karolingischen Zeit ackerbaulich bewirtschaftet wurden. Eine ottonische Silbermünze ist als Verlustfund an dieser Stelle zu interpretieren , die vielleicht noch bis ins hohe Mittelalter ihre Rolle als wichtige Verkehrskreuzung behalten hat.
Die weitaus meisten Funde stammen jedoch aus der römischen Zeit: Hier ist es vor allem die mittlerweile beindruckende Münzreihe von 1303 keltischen und römischen Münzen, die neue und interessante Details zu dieser Straßensiedlung liefern. Trotz der fragmentarischen Überlieferung des Münzspektrums fällt mit 211 Münzen die enorm hohe Zahl an keltischen Münzen auf, darunter drei keltischer Kleinerze des sog. Nörvenicher–Typs. Dazu treten römische Münzen der republikanischen Zeit, zu denen durch Begehungen zwei weitere Legionsdenare Marc Antons gekommen sind. Dadurch verdichtet sich dieVermutung, dass in der Frühzeit des vicus römisches Militär am Ort anwesend war. Die Straßensiedlung wurde spätestens in augusteischer Zeit an der Straßenkreuzung der römischen Straße Zülpich–Neuss und einer regionalen West–Ost–Verbindung angelegt, die vom Rhein kommend über Düren–Mariaweiler in Richtung Maas auf die Aldenhovener Platte führt.
Aufgrund der hohen Anzahl keltischer Münzen wird diskutiert, ob in der frühesten Zeit des Nörvenicher vicus ein einheimisches Heiligtum existiert haben könnte. Keramikfunde können diese Annahme bislang nicht bestätigen.
Die Binnenstruktur der Siedlung an einer sich gabelnden Wegetrasse und dem Neffelbach mit verschiedenen innerörtlichen Wegen wurde durch Luftbilder und eine geophysikalische Prospektionskampagne der Universität Köln erstmals deutlicher.
Neben den zahlreichen Ziegelbruchstücken wurde Keramik aufgelesen, die in den meisten Fällen zum Küchen- und Vorratsgeschirr gehört.
Bronzeschmelzen, eisenhaltige Gesteine und Eisenschlacken belegen metallverarbeitendes Handwerk am Ort. Dazu passen erste Hinweise auf einen Erzabbau in der unmittelbaren Umgebung.
Betrachtet man die Münzreihe des 3. und 4. Jahrhunderts mit 800 bestimmbaren Exemplaren, so fällt auf, dass sie zwischen dem Jahr 275 und dem Beginn des 4. Jahrhunderts unterbrochen ist. Sie reicht dann bis in das beginnende 5. Jahrhundert hinein, wobei die Münzmenge in den 380er Jahren deutlich abnimmt. Im Gegensatz zu dem etwa 15 km westlich an der gleichen Regionalstraße gelegenen vicus Marcodurum (Düren-Mariaweiler) scheint Nörvenich die unruhigen 260er Jahre des Gallischen Sonderreiches gut überstanden zu haben, denn zahlreiche Münzen sowie ein möglicherweise von einer Gussstange abgespaltener Münzrohling sind Prägungen des Postumus und seiner. Erst im Zuge des großen Germaneneinfalls 275/276 scheint der vicus Nörvenich direkt betroffen gewesen zu sein. Während der Vicus Marcodurum keine spätere Besiedlung aufweist, reicht die Besiedlung Nörvenichs noch bis ins ausgehende 4. Jahrhundert. Späte Keramikformen des Mayener Typenspektrums sowie spätrömische Argonensigillata bestätigen auch im sonstigen Fundgut dieses Weiterleben. Mit allem Vorbehalt kann diskutiert werden, ob der Frankeneinfall des Jahres 355 ebenfalls im Nörvenicher Münzspektrum sichtbar wird. Die zahlreichen Münzen nach diesem Jahr zeigen in jedem Fall eine weiterhin vorhandene Besiedlung an.
Es ist erstaunlich, wie sich durch wenige Begehungskampagnen die Kenntnisse zu dieser lange bekannten Fundstelle in quantitativer und qualitativer Hinsicht erweitert haben. Erstmals wurden diese archäologischen Funde unselektiert und vollständig für die öffentliche Hand geborgen.
2013 wurden die Funde im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert, wobei der Fokus auf der Bewahrung des gemeinsamen archäologisch-kulturellen Erbes lag. Davon verspricht sich der Nörvenicher Heimat- und Geschichtsverein gemeinsam mit dem LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland ein gesteigertes Interesse der Bevölkerung und der örtlichen Politik an der Bewahrung dieses einstmals herausragenden römischen vicus.
Literatur: Petra Tutlies und Hans-Dieter Pütz: Bevor die „Möwen“ kommen…- präventive Bodendenkmalpflege auf einem altbekannten Fundplatz in Archäologie im Rheinland 2012