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Bauerntanz

Ein vollständiger Motivband aus dem Töpfereimuseum Raeren.


Gelten Funde von Gebrauchskeramik der Frühzeit in aller Regel als Siedlungsanzeiger, so sprechen die Scherbenfunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit eine andere Sprache. Für unsere Gegend ist es üblich, dass auf den Feldern vereinzelte Reste von mittelalterlicher und neuzeitlicher Keramik gefunden werden, ohne in direktem Zusammenhang mit einer Besiedlung vor Ort zu stehen. Wie aber gelangen die Scherben hier hin? Diese Umstände stehen in direktem Zusammenhang mit der damaligen Feldbestellung. Zerbricht ein Krug, so wandern dessen Scherben auf den hauseigenen Misthaufen oder in die Abortgrube. Der Mist wird alsbald aufs Feld gefahren und dient dort als Dünger. Mit diesem Dung also gelangen dann auch die vereinzelten Scherben auf das Feld. So kam es wohl auch, dass diese salzglasierte Steinzeugscherbe auf das Feld bei Oberbolheim gelangte, und im März 2012 aufgelesen wurde. Sie gehört zum Mittelteil eines Kruges mit Friesauflage und trägt das Fragment der Darstellung eines Bauerntanzes. Die Farbe der Scherbe und die Form der Darstellung lassen vermuten, dass sie im Raum Aachen/Raeren gefertigt wurde.

  
Ab der Mitte des 16.- bis ins 17. Jahrhundert, zur Zeit der Renaissance, war es Mode, Szenen aus dem gesellschaftlichen Leben auf Keramik abzubilden. Zu dieser Zeit gelang den Raerener Töpfern eine revolutionäre technische Formvariante. Aus den bisher kugeligen Krugformen entwickelten sie eine architektonisch streng gegliederte Form. Diese wies von unten nach oben einen Fuß, einen zylindrischen Mittelteil, eine Schulter und einen Hals auf. Der zylindrische Mittelteil ermöglichte es, statt der bisherigen Wappen und Medaillons nun auch Bildfriese aufzulegen. Diese erzählten in der Form der heutigen Comics, mit Hilfe von Bild und Text, ganze Geschichten. Religiöse und profane Motive dienten zur Unterhaltung des Nutzers und machten dieses Steinzeug noch beliebter. Dazu gehören auch die Darstellungen des Bauerntanzes. Dieses Motiv kommt auch in der Malerei dieser Zeit häufig vor und entspringt eigentlich der sich ändernden Gesellschaftsordnung in der Zeit der Renaissance. Die Bauerntanzkrüge waren ab der zweiten Hälfte des 16. Jh. bis ins frühe 17. Jahrhundert eine echte Massenware der Raerener und der Siegburger Töpfereien. Auf ihrem Bauch kann man wild tanzende Menschen erkennen, die in bäuerliche Trachten gekleidet sind. Ursprünglich waren die Vorlagen für diese Motive Stiche des Nürnberger Meisters Sebald Beham. Diese Darstellung wurde von dem 1540 geborenen Raerener Töpfer Jan Emens Menneken häufig verwendet.

Insgesamt sind von den Raerener Töpfereien mehr als 30 verschiedene Motivvarianten bekannt, die sich hinsichtlich des "Designs", aber auch der Inschriften unterscheiden, aber allesamt auf den Beham-Vorlagen basieren. Das Motiv der hier vorliegenden Scherbe ist eine der am weitesten verbreiteten Varianten des Jan Emens Menneken und seine Matrize datiert ins Jahr 1583. Über den zu erkennenden Darstellungen von 4 Personen kann man den Rest eines Spruchbandes lesen, das als Spottlied über die Landbevölkerung diente. Zu erkennen sind die Buchstaben:

N SO DANSEN DEI

Auf Krügen dieser Variante lautet der vollständige Spruch:

GERET DU MUS DAPR BLASEN SO DANSEN DEI BUREN ALS WEREN SEI RASEN FRI VF SPRICHT BASTOR ICH VERDANS DI KAP MIT EN KOR.           1583

Übersetzt heißt das: „ Gerhard, du musst tapfer blasen, so tanzen die Bauern als wären sie rasend; „Los, auf!” spricht Pastor, „ ich vertanze die Kappen, den Amikt (Schultertuch) und den Chormantel”.   1583

Mit dem Spruch, der als Spottlied über die Landbevölkerung diente, machte man sich über die ungestümen und unanständigen Tänze der Landbevölkerung lustig, die als „Deutscher Drehtanz” oder „Allemande” bekannt wurden, und aus dem sich unser heutiger Walzer, der in seiner Frühzeit in Anlehnung an seine wilden Wurzeln auch „Wüster Weller” genannt wurde, entwickelte. Der Spott trifft aber auch den Pastor in seiner engen Verflechtung mit dem weltlichen Brauchtum der Bauern, vertanzt dieser doch seine gesamte Amtstracht. Der damalige Besitzer des Kruges zeigte also öffentlich seine Weltanschauung und sein Denken über die Stände der Geistlichkeit sowie über die der einfachen Landbevölkerung.

Wer aber war nun der Besitzer? Urkundlich nachgewiesen erwarben 1372 die Kölner Antoniter einen Hof in Oberbolheim. In der Folge wurde der Antoniterbesitz in naher Umgebung von Oberbolheim ganz beträchtlich erweitert. Im 16. Jahrhundert muss die Präsenz der Antoniter in Oberbolheim so beeindruckend gewesen sein, dass der Ort 1551 „Sandt Anthoenniß Boolhem“ genannt wurde. Der Acker auf dem die Scherbe gefunden wurde, dürfte ebenfalls zum Besitz des jetzt Groß Antoniterhof genannten Hofes gehören, denn er wird heute noch vom 1969 umgesiedelten Antoniterhof bewirtschaftet. Am Ende des 16. Jahrhunderts zählte Oberbolheim ca.100 Einwohner, der Groß Antoniterhof wird von 1584 bis mindestens 1625 von dem 1575 geborenen Halfen (Pächter) Johann Zilcken verwaltet. Im Rheinland entwickelte sich bereits vor dem Beginn der Frühen Neuzeit mit dem Pächterstand eine neue, ländliche Oberschicht, die persönlich völlig frei und wirtschaftlich äußerst wohlhabend war. Aus der Familie Zilcken, die schon seit spätestens 1450 genannt wird, gehen viele Halfen hervor, z. B. in Aldenrath, Golzheim, Merken, Dirlau, Müddersheim, Nörvenich, Wissersheim oder Burg Langendorf/Kreis Euskirchen. Der Halfe des Groß-Antoniterhofes musste seinerzeit dem Pastor Kost und Unterkunft stellen. Der in diesen Jahren in Oberbolheim wirkende Pastor, den der edle Herr aus Oberbolheim durch den Erwerb des Kruges vielleicht zu verunglimpfen versucht, hieß Christian Sartorius. Er war von 1597 bis 1641 Pastor der Pfarre Ollesheim, wozu Oberbolheim als Filialort bis 1808 gehörte. Der Ollesheimer Pastor Christian Sartorius hatte am Standort seiner Pfarrkirche keine Wohnung und musste in zwei Turmzimmern beim ca. 2 Kilometer entfernten Oberbolheimer Antoniterhalfen Johann Zilcken mehr schlecht als recht, wörtlich mit „notturftigem underhalt“, wohnen. Die Beziehung zwischen dem Pastor und dem Antoniterhalfen war möglicherweise nicht vom Besten gewesen. Dazu passend erscheint die Bauerntanzscherbe. Es erscheint verlockend, das Spottmotiv des Kruges auf den Pastor als unliebsamen Kostgänger des Antoniterhalfen zu beziehen, auf dessen Acker der Krugrest gefunden wurde.

Übrigens sind beide, sowohl der Halfe Johann Zilcken als auch der Pastor Christian Sartorius 1609 im Nörvenicher St. Sebastianus Bruderschaftsbuch eingetragen.

Oben sehen Sie ein entsprechend vollständiger Motivband aus dem Töpfereimuseum Raeren.